Auftaktveranstaltung zur Einweihung des Autismus-Therapie-Standorts Bochum
„Autismus braucht Aufklärung!“ Stephanie Meer-Walter, bekannte Autorin und Asperger-Autistin bringt es bei der Einweihung des DRK-Autismus-Zentrums in Bochum auf den Punkt. Menschen mit Autismus sind anders – in ihrer Wahrnehmung, ihrer Reizempfindlichkeit und in der sozialen Interaktion. Ihre Reaktionen werden oft fehlinterpretiert. Mit eindrucksvollen und berührenden Beispielen aus dem Alltag von Menschen mit Autismus, brachte sie das Publikum vergangene Woche zum Nachdenken, Mitfühlen und Verstehen.
Studien zeigen, dass 0,6 bis 1,0% der weltweiten Bevölkerung, also rund einer von 100 Menschen, im sogenannten Autismus-Spektrum lebt.* Die Gastrednerin der Auftaktveranstaltung Stephanie Meer-Walter hat die Diagnose Asperger-Autismus erst im Erwachsenenalter bekommen und dann erst verstehen gelernt, warum sie sich vorher immer als „anders“ gefühlt hat. Anders – nicht besser oder schlechter.
Für nicht autistische Menschen ist es oft schwer, das Verhalten von Autisten zu verstehen und richtig zu interpretieren. Besonders anschaulich stellte Meer-Walter an alltäglichen Situationen einer Schülerin und eines Schülers mit Autismus dar, wie komplex vermeintlich „normale“ soziale Verhaltensregeln in unserer Gesellschaft sich für Menschen mit Autismus anfühlen. Zum Beispiel in der Interaktion mit Mitmenschen oder dem Verarbeiten von vielschichtigen Reizen reagieren Autisten anders.
So wie bei Max, für den der Schultag gefüllt ist mit Situationen, die er nicht einsortieren kann, die ihm Angst machen und durch die er schließlich in einen Meltdown fällt. Meltdown ist eine reflexartige Handlung des Autisten, die er nicht kontrollieren kann. Symptome können zum Beispiel lautes Schimpfen, Schlagen, Boxen, Schreien, Anrempeln sein. Max ist hochintelligent, löst komplizierte Mathematikaufgaben minutenschnell im Kopf. Er kann nicht verstehen, warum der Lehrer ihn dazu zwingen will, einen Rechenweg aufs Papier zu schreiben, wenn er die Aufgabe doch viel schneller im Kopf gelöst hat als den Rechenweg aufzuschreiben. Es erscheint ihm nicht logisch.
Der Lehrer wiederum versteht Max nicht: Warum schreibt er den Rechenweg nicht einfach wie vorgegeben auf? Das ist doch nicht so schwer. Max ist doch intelligent genug dafür… Max kann die Argumente nicht verstehen, kämpft gleichzeitig innerlich gegen die Geräuschkulisse in der Klasse an, die auf ihn einprasselt. Er fühlt einen stechenden Schmerz am Arm, als sein Sitznachbar ihn vorsichtig anstupst, weil er der Aufforderung des Lehrers nach einer Antwort auf seine Frage nicht Folge geleistet hat. Als er dann für die anderen Schüler aus scheinbar unerklärlichen Gründen seinem Sitznachbarn ins Gesicht schlägt, eine Mitschülerin schubst und schreiend aus der Klasse rennt, wird sein Verhalten als bockig, aggressiv und gewalttätig interpretiert. Max, der sein eigenes Selbst nicht richtig versteht und permanent damit überfordert ist, denkt in solchen Momenten: „Dabei will ich doch einfach nur normal sein.“
Autisten sind allerdings nicht immer hochbegabte Zahlengenies. Etwa die Hälfte aller autistischen Menschen hat einen niedrigeren IQ als der Durchschnitt, die andere Hälfte einen durchschnittlichen oder höheren IQ. „Zudem können die Begabungen in allen Bereichen liegen. Im mathematisch-naturwissenschaftlichen ebenso wie im künstlerischen oder im geistes- und sozialwissenschaftlichen“, erklärt Stephanie Meer-Walter. Das Spektrum ist insgesamt sehr breit und es gehen zahlreiche Herausforderungen damit einher.
Seit 2013 unterstützt und berät das Autismus-Therapie-Zentrum (ATZ) des DRK Witten Menschen mit Autismus, deren Angehörige und das direkte Umfeld bei der Bewältigung ihres Alltags. „Die Maximierung von Selbständigkeit und Lebenszufriedenheit der Klienten steht im Mittelpunkt der Therapie“, erläutert Kerstin Vesper, Leiterin des ATZ. Dafür werden gezielt soziale und kommunikative Fähigkeiten unter Berücksichtigung der individuellen Stärken und Interessen gefördert. Das Angebot richtet sich an Kinder, Jugendliche und Erwachsene. In 2021 wurde das Angebot durch einen Standort in Bochum erweitert. Interessenten finden auch Informationen auf der Webseite des DRK unter www.drk-witten.de/atz. Die Arbeit des ATZ wird durch die „Aktion Mensch“ gefördert.
Standorte:
DRK soziale Dienste Kreisverband Witten gGmbH
Autismus-Therapie-Zentrum Witten
Ardeystraße 27
58452 Witten
DRK soziale Dienste Kreisverband Witten gGmbH
Autismus-Therapie-Zentrum Bochum
Karl-Lange-Straße 53
44791 Bochum
*Quelle: www.umweltbundesamt.de/themen/gesundheit/umweltmedizin/autismusautismus-spektrum-stoerungen