Kiew ist die Hauptstadt und größte Stadt der Ukraine. Sie liegt am bis hierhin für kleinere Seeschiffe befahrbaren Dnepr und hat auf einer Fläche von 847,66 km² nahezu drei Millionen Einwohnende. Die Agglomeration umfasst mehr als vier Millionen Menschen. Kiew gilt als wichtiger Bildungs- und Industriestandort und bildet darüber hinaus den wichtigsten Verkehrsknotenpunkt des Landes. Aufgrund ihrer historischen Bedeutung als Mittelpunkt der Kiewer Rus trägt die Stadt seit gleichlautender Bezeichnung in der Nestorchronik oft den Beinamen „Mutter aller russischen Städte“. Wegen der zahlreichen Kirchen und Klöster und seiner Bedeutung für die orthodoxe Christenheit wird Kiew seit dem Mittelalter außerdem als „Jerusalem des Ostens“ bezeichnet. Die Sophienkathedrale und das Kiewer Höhlenkloster sind seit 1990 UNESCO-Weltkulturerbe.
Persönlichen Situation
„Ich bin in Kiew geboren und aufgewachsen und habe mein ganzes Leben bisher in Kiew verbringen dürfen. Ich hatte ein gutes, normales Leben. Kiew ist eine große Stadt, aber für ihre Größe ist sie sehr angenehm und das Leben dort war sehr entspannt. Es gibt verschiedene Distrikte mit einer herausragenden Architektur. Vor Beginn des Krieges war die Stadt wirklich im Aufblühen. So gab es in meiner Kindheit noch nicht so viele Parkanlagen wie es zuletzt, in der jüngeren Vergangenheit, der Fall war. Die Stadt wurde offen und familienfreundlich gestaltet. Aber es wurden auch Gebäude gebaut, vor allem in den letzten Jahren, die nicht hätten gebaut werden dürfen. Somit war und ist Korruption ebenfalls ein Bestandteil von Kiew, insbesondere in den letzten Jahren vor Kriegsbeginn und vor allem in der Bauindustrie. Nichtsdestotrotz hatte ich persönlich dort ein gutes Leben.“
Die Situation seit 2014
„Die Situation von 2014 ist mir nicht gänzlich im Gedächtnis geblieben. Ich war noch ein Teenager im Alter von zwölf Jahren und erinnere mich nicht so gut daran zurück. Woran ich mich aber gut erinnern kann ist, dass es eine insgesamt sehr stressige Zeit war. Für junge Menschen war der Maidan ein sehr gefährlicher Ort. Auch wenn es nur für eine kurze Zeit zu den Unruhen kam, war Kiew zu dieser Zeit ein recht gefährlicher Ort. Es waren aber nicht die jungen Menschen die Angst hatten, sondern eher die elterliche Generation, da sie die gesamte Situation besser verstanden haben. Um nun die aktuelle Situation verstehen zu können, gilt es einen Blick auf die Geschichte der Ukraine zu werfen. Russland wollte nie eine unabhängige Ukraine, aber das ist nur meine Meinung. Bereits während des Niedergangs der Sowjetunion hatte Russland Pläne entwickelt, wie es mit der Ukraine weitergehen soll. Sie würden die Ukraine erst dann als unabhängig betrachten, wenn sie wirtschaftlich und ökonomisch daraus einen Nutzen ziehen können. Somit wäre die Ukraine weiterhin von Russland abhängig gewesen. Russland war schließlich der größte internationale Handelspartner der Ukraine. Und als es dann zur Aufruhr auf dem Maidan kam, hatten wir mit Wiktor Janukowytsch einen Präsidenten, der sich für die russischen Interessen eingesetzt hat. Meiner Meinung nach wurde hier also ein langfristiger russischer Plan umgesetzt, welcher die Ukraine in eine russische Abhängigkeit führen sollte. Dadurch dann, dass sich Janukowytsch nach Russland absetzte, wurde es letztendlich offensichtlich, wer der eigentliche Boss des damaligen ukrainischen Präsidenten und somit auch der der Ukraine war. Als schließlich Wolodymyr Selenskyj gewählt worden ist, haben wir - wie bei jedem Politiker - auf Verbesserung der Gesamtsituation gehofft. Aber persönlich finde ich schon, dass er einige Dinge auf den Weg gebracht hat. So hat er zum Beispiel dafür gesorgt, dass die Menschen besser informiert werden. Er kümmerte sich um die Verbesserung der digitalen Infrastruktur. Das sehen wir beispielsweise daran, dass wir jetzt merken, wie in anderen Ländern gearbeitet wird, wenn es um Bürokratie, Amtsgänge und Dokumente geht. Es lief auch viel besser, als es in Deutschland der Fall ist. Die Entwicklung der Ukraine wurde also zusehends besser und alles gestaltete sich freier und demokratischer. Aber es etablierten sich auch verschiedene Gruppierungen, die der Meinung waren, dass wir unsere Sprache (und somit auch unsere Kultur) beschützen müssten. Diese Gruppierungen setzten sich dafür ein, dass wir uns von der russischen Leitkultur und von der russischen Sprache distanzieren sollten. Aber dazu gab es einfach verschiedene Perspektiven, denn es gab auch Personengruppen, die der Meinung waren, dass die Beziehungen zu Russland in Ordnung sind und die Sprache Bestandteil der ukrainischen Kultur sei. Meiner Meinung nach funktioniert die Demokratie in der Ukraine, aber ob sie richtig umgesetzt wird, daran habe ich meine Zweifel. Ich glaube eben nicht an eine richtige Umsetzung der Demokratie, weil der Krieg bereits im Jahre 2014 begann, auch wenn es sich größtenteils um einen kalten Konflikt handelte, also zu jener Zeit, als sich Donbass und Oblast Luhansk in einer schwierigen Situation befanden, konnte man in den anderen Distrikten ein mehr oder weniger normales Leben führen. Es war zwar manchmal etwas kompliziert und wir wussten um die schwierige Situation, aber die ukrainische Armee ist in diesen Regionen ihrer Arbeit nachgegangen und die Menschen konnten weiterhin ihr Leben leben.“
Zur freien Meinungsäußerung
„Manchmal ist es schwierig, in der Ukraine seine Meinung frei zu äußern. Natürlich habe ich eine eigene Meinung und auch jeder andere Ukrainer hat seine eigene Meinung, aber man musste sich in einer Unterhaltung zuerst immer annähern. Es gab Meinungen, denen ich mehr abgewinnen konnte als anderen, die sozusagen moderat waren, und es gab Meinungen, die aggressiv vertreten worden sind. Mit Personen, die sagen „Meine Meinung ist die einzig richtige“, ist es nicht wirklich möglich zu diskutieren. Solche Personen gab es natürlich auf beiden Seiten. Im familiären Kontext gab es auch unterschiedliche Meinungen, aber wenn das so war, haben wir einfach nicht über die politische Situation gesprochen und konnten so einem Streit aus dem Weg gehen.“
Umgang mit Medien
„Als ich ein Kind war, nutzte ich keine sozialen Medien. Ich habe auch nicht oft Fernsehen geschaut. Ich bin aber mit ukrainischen Medien groß geworden und habe auch keine russischen Nachrichten geschaut oder BBC oder sonst etwas. Ich habe gelernt, mich selbst zu informieren. Ich nutzte bestimmte Webseiten, Newschannels und Kanäle und empfand es normal, mich so zu informieren. Ich kann auch den Punkt verstehen, dass mediale Propaganda und Beeinflussung gefördert werden, sei es auf russischer, ukrainischer oder westlicher Seite. Zwischen diesen Nachrichten gibt es viel Spielraum für Spekulationen, insbesondere zwischen westlicher und russischer Berichterstattung. Aus diesem Grund traue ich aktuell nur der ukrainischen Berichterstattung. Ich habe mit einigen russischen Menschen gesprochen und sie wünschen sich entweder Neutralität zur Ukraine oder sagen, dass sie die aktuelle Situation nicht kontrollieren können, weil nur eine Person dafür verantwortlich gemacht werden kann. Manche Teile der russischen Bevölkerung werden wohl Angst vor Konsequenzen haben und manche Teile der russischen Bevölkerung wollen für die Folgen der russischen Politik keine Verantwortung übernehmen. Meine Lebenserfahrungen sind unmittelbar mit der aktuellen Situation in Verbindung zu setzen, da ich diesen Konflikt seit jeher mitbekommen habe.“
„So habe ich mit einem jungen Mann studiert, der einen ähnlichen Werdegang hatte wie ich. Wir haben ähnliche Zugänge zu den Nachrichten, waren also auf demselben Informationsstand, aber als wir angefangen haben, eines Tages über Corona und die dazugehörigen Impfungen zu sprechen, fing er an über Vergiftungen zu debattieren und ich verstand, dass Bildung nicht immer der Weg zu einem Verständnis ist. Manchmal glauben Menschen lieber unlogische Dinge.“
Wünsche
„Zu allererst gilt es zu erwähnen, dass ich erst gar nicht nach Deutschland wollte, aber die Situation ließ es nicht anders zu. Eigentlich wollte ich in Kiew bleiben, aber mein Vater sagte mir, dass das keine gute Idee sei. Meine Eltern wollten nicht, dass ich alleine durch die Straßen von Kiew laufe, gerade weil es ab März so gefährlich wurde. Und manchmal brauche ich einfach meine Zeit für mich, lediglich um den Kopf frei zu bekommen, einen Spaziergang oder so etwas, und dafür war Kiew nicht mehr der richtige und sichere Ort. Ich wünsche meiner Heimat Frieden, Unabhängigkeit und vor allem Einheit: ein vereintes Land über alle Distrikte und Regionen des Landes hinaus. Ich wünsche mir natürlich, in meinem Land leben zu können, um glücklich und erfolgreich zu leben. Ich glaube für mich persönlich habe ich recht normale Begehren und Wünsche. Meiner Meinung nach wird er verlieren. Er wird versuchen, den Osten der Ukraine zu erobern, kann aber nicht weitergehen, weil wir uns nun in einer Situation befinden, dass zwar Russland als Land existiert, aber seine Zeit geht dem Ende entgegen. Das kann ein paar Tage, Monate oder Jahre dauern, aber der Krieg ist so unfassbar teuer, nicht nur für die Ukraine und Russland, sondern für die gesamte Weltwirtschaft. Somit ist der Konflikt der beiden Länder eine so ungeheure Gefahr für die gesamte Welt. Ich hoffe natürlich, dass der Krieg schnell endet, aber ich will nicht in Hoffnung verweilen, da ich sonst warte, warte, warte und nochmals warten muss. Und das ist nicht gut.“
Das Interview wurde am 27. Juni 2022 von Sebastian Schopp geführt.
Kiev is the capital and largest city of Ukraine. It is located on the Dnieper River, which can be navigated by small seagoing vessels up to this point, and has a population of nearly three million on an area of 847.66 km². The agglomeration comprises more than four million people. Kiev is considered an important educational and industrial center and is also the country's most important transportation hub. Due to its historical significance as the center of Kievan Rus, the city has often been called the "mother of all Russian cities" since the same name was used in the Nestor Chronicle. Because of its numerous churches and monasteries and its importance for Orthodox Christianity, Kiev has also been called the "Jerusalem of the East" since the Middle Ages. St. Sophia Cathedral and the Kiev Cave Monastery have been UNESCO World Heritage Sites since 1990.
Personal situation
"I was born and raised in Kiev and I have been able to spend my whole life so far in Kiev. I had a good, normal life. Kiev is a big city, but for its size it is very pleasant and life there has been very relaxed. There are different districts with outstanding architecture. Before the war started, the city was really flourishing. So, in my childhood there were not as many parks as there have been recently, in the recent past. The city was made open and family-friendly. But buildings were also built, especially in recent years, that should not have been built. So corruption was and is also a part of Kiev, especially in the last years before the war started and especially in the construction industry. Nevertheless, I personally had a good life there."
The situation since 2014
"The situation in 2014 is not entirely in my memory. I was still a teenager at the age of twelve and don't remember it that well. What I do remember well, however, is that it was a very stressful time overall. For young people, the Maidan was a very dangerous place. Even though the unrest was only for a short period of time, Kiev was quite a dangerous place at that time. However, it was not the young people who were afraid, but rather the parental generation, because they understood the whole situation better. Now, in order to understand the current situation, it is necessary to take a look at the history of Ukraine. Russia never wanted an independent Ukraine, but that is just my opinion. Already during the fall of the Soviet Union, Russia had developed plans on how to proceed with Ukraine. They would not consider Ukraine independent until they could benefit from it economically and commercially. Thus, Ukraine would have continued to be dependent on Russia. After all, Russia was Ukraine's largest international trading partner. And then when it came to the Maidan riots, we had a President in Viktor Yanukovych who stood up for Russian interests. So in my opinion, a long-term Russian plan was implemented here, which was to lead Ukraine into Russian dependence. Then, when Yanukovych went to Russia, it became obvious who was the real boss of the Ukrainian president at that time, and therefore of Ukraine. When Volodymyr Selensky was finally elected, we hoped - as with any politician - for an improvement in the overall situation. But personally, I think he has set a number of things in motion. For example, he made sure that people were better informed. He took care of improving the digital infrastructure. We see that, for example, in the fact that we now notice how work is done in other countries when it comes to bureaucracy, official procedures and documents. It also went much better than it does in Germany. So the development of Ukraine became visibly better and everything became freer and more democratic. But there were also various groups that felt that we had to protect our language (and therefore our culture). These groups argued that we should distance ourselves from the Russian dominant culture and from the Russian language. But there were simply different perspectives on this, because there were also groups of people who thought that relations with Russia were fine and that the language was part of Ukrainian culture. In my opinion, democracy works in Ukraine, but whether it is implemented properly, I have my doubts. I just don't believe in proper implementation of democracy because the war started back in 2014, even though it was mostly a cold conflict, so at that time when Donbass and Luhansk oblast were in a difficult situation, you could live a more or less normal life in the other districts. It was a bit complicated sometimes and we knew about the difficult situation, but the Ukrainian army went about its work in those regions and people could continue to live their lives."
On freedom of expression
„Sometimes it is difficult to express your opinion freely in Ukraine. Of course, I have my own opinion, and every other Ukrainian has his own opinion, but you always had to come closer in a conversation first. There were opinions that I was more sympathetic to than others, that were moderate, so to speak, and there were opinions that were expressed aggressively. With people who say "My opinion is the only correct one", it is not really possible to discuss. Of course, there were such people on both sides. In the family context, there were also different opinions, but when that was the case, we simply didn't talk about the political situation and were thus able to avoid an argument."
Dealing with media
"When I was a kid, I didn't use social media. I didn't watch TV much either. But I grew up with Ukrainian media, and I didn't watch Russian news or BBC or anything. I learned to inform myself. I used certain websites, news channels and channels and felt it normal to inform myself that way. I can also understand the point that media propaganda and influence are promoted, whether on the Russian, Ukrainian or Western side. There is a lot of room for speculation between these messages, especially between Western and Russian reporting. For this reason, I currently only trust Ukrainian reporting. I have talked to some Russian people and they either want neutrality on Ukraine or say that they cannot control the current situation because only one person can be blamed for it. Some parts of the Russian population will probably be afraid of consequences, and some parts of the Russian population do not want to take responsibility for the consequences of Russian policies. My life experiences are directly related to the current situation because I've been witnessing this conflict all along."
"So I studied with a young man who had a similar background to mine. We have similar access to the news, so we were at the same level of information, but when we started talking one day about Corona and the related vaccinations, he started debating about poisoning and I understood that education is not always the way to understanding. Sometimes people prefer to believe illogical things."
"First of all, it is worth mentioning that I did not want to go to Germany in the first place, but the situation did not allow me to do otherwise. Actually, I wanted to stay in Kiev, but my father told me that it was not a good idea. My parents didn't want me to walk alone through the streets of Kiev, especially because it became so dangerous from March on. And sometimes I just need my time for myself, just to clear my head, take a walk or something, and Kiev was no longer the right and safe place for that. I wish my homeland peace, independence and above all unity: a united country beyond all districts and regions of the country. Of course, I wish to be able to live in my country, to live happily and successfully. I think for me personally, I have quite normal desires and wishes. In my opinion, he will lose. He will try to conquer the east of Ukraine, but can not go further, because now we are in a situation that Russia exists as a country, but its time is coming to an end. It may take a few days, months, or years, but the war is so incredibly expensive, not only for Ukraine and Russia, but for the entire world economy. Thus, the conflict of the two countries is such a tremendous danger for the whole world. I hope, of course, that the war will end quickly, but I don't want to dwell on hope, because otherwise I will have to wait, wait, wait and wait again. And that is not good."
The interview was conducted by Sebastian Schopp on June 27, 2022.